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Ein Gefühl für Algorhythmus
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Ein Gefühl für Algorhythmus

Natalija Tschelej-Kreibich Tue 12 2022

Künstliche Intelligenz stellt unseren Kunstbegriff auf den Kopf: Was früher das zufällige Genie großer Meister wie Michelangelo und Beethoven war, sind heute riesige Rechner mit einem programmierten Hang zum Kreativen.

von Andreas Feichtenberger Lesezeit 7 min.

Es sind die Kreativität und die Individualität, die unser Dasein ausmachen. Es ist die Kunst, die den Menschen vom Tier unterschei­det, die unserem Schaffen einen Sinn gibt und unsere Einzigartigkeit auf diesem Planeten ausmacht. Niemand sonst ist dazu imstande.

Oder etwa doch? Die künstliche Intelligenz (KI) straft diese Annahmen Lüge. Der Begriff KI ist seit Langem kein Fremdwort mehr. Sie hat längst unseren Alltag erobert, wir finden sie in Küchengeräten, Staubsaugern, Handys und Autos. Und wer nun denkt, die KI sei auch nur so intelligent wie das menschliche Gehirn, das sie her­vorgebracht hat, irrt. In vielen Dingen ist sie uns voraus. Wenn Computer über Schachweltmeister trium­­phieren, Autos lenken, ­unsere ­Gefühlslage erkennen und mit uns kommunizieren, wird die Überlegenheit des Menschen relativiert. Warum sollte es sich in der Kunst anders verhalten? Es war letztlich nur eine Frage der Zeit, bis die KI auch in die Welt der Kulturschaffenden eindringt und versucht, sich ihren Platz zu erkämpfen. Sie ist quasi die Nachfahrin von Picasso, Schubert und Co. Jedoch mit einem wesentlichen Manko: Maschinen können lernen und Schlüsse ziehen, aber nicht selbstständig Emotion schaffen.

Carpet Inspiration

Mehr als ein Spaß

Es war der Digitalriese Google, der den Menschen nicht nur einen ­Zeitvertreib, sondern ein wenig mehr Talent beim Malen verschaffen wollte, als er das ­Programm AutoDraw erschuf. ­Darin werden Anfänger in der Kunst des Zeichnens unterstützt. Denn die dahin­terstehende KI verwandelt laienhafte Kritzeleien in echte Bilder – von der Blume bis zum Socken. Die Ergebnisse erinnern an ein Comic, und es gibt sicherlich bahnbrechendere Erfindungen, doch es zeigt bereits, was im Kleinen alles möglich ist. Mehr Spaß als ernst zu nehmende Kunst bietet auch die App Wombo Dream, die basierend auf einer Texteingabe von maximal 100 Zeichen ein passendes Bild generiert. 

Die Ergeb­nisse können sich sehen lassen und sorgen jedes Mal aufs Neue für eine Überraschung. Weit mehr Aufsehen hat 2018 wohl ein KI-Gemälde der Künstlergruppe Obvious Art erregt, als es im Auktionshaus Christie’s für 432.500 US-Dollar den Besitzer wechselte. Das Besondere daran: Ursprünglich wurde das Werk namens ​„Edmond de Belamy“ von den Experten auf 10.000 US Dollar geschätzt. Kritiker werden anmerken, dass ein hoher Sachwert noch kein Beleg für echte Kunst ist, und sie mögen damit auch recht haben. Dass KI-Kunst im Mainstream angekommen und somit ein Teil unserer Gesellschaft geworden ist, belegt diese durchaus einzigartige Versteigerung aber allemal.

 

 KI 6 Acne Studios.jpg

 Copyright KI 6 Acne Studios

Maschinen lernen und konstruieren, schaffen aber keine Emotion.”

Massentauglich war auch die Modekollektion des schwedischen Labels Acne Studios, das gemeinsam mit dem ­KI-Künstler Ronan Barrot einige Jahre lang seine Designs entwickelt hat. Ein neuronales Netzwerk sorgte dabei dafür, neue Muster und Bilder zu entwerfen, die dann auf die Kleidungsstücke gedruckt wurden. Auch der heurige MWC, der Mobile World Congress, der in Barcelona über die Bühne ging, setzte für seine Besucher auf KI-Kunstwerke und zeigte somit die Relevanz dieser Kunstrichtung für die Gesellschaft. So präsentierte der Medienkünstler Refik Anadol, der vor ­allem für seine KI-Kunst bekannt geworden ist, auf der Veranstaltung digi­tale Datenskulpturen, die für farben­frohe Effekte sorgten. Publikumsmagnet aber war sicherlich jene KI, die dank ihrer Algorithmen Hasskommentare, die in sozialen Medien leider immer präsenter werden, auf einem gewaltigen Screen sichtbar werden ließ. Unter dem Motto #Unhate wurden diese giftigen Postings dann als ein visuelles und akustisches Element dargestellt.

Und auch die klassische Kunstszene wird von KI revolutioniert. Prominentes Beispiel: Die sogenannten ​Fakultätsbilder“ von Gustav Klimt, die damals einen Skandal auslösten und deswegen nicht in der Uni aufgehängt wurden. Später sind sie in einem Depot verbrannt. Und genau diese verloren gegangenen Kunstwerke des berühmten österreichischen Malers können nun wieder in Farbe erlebt werden. Möglich machen das ein Expertenteam des Belvedere und die Rechenpower des Tech-Giganten Google.

 

 painting 81534 David Marc Pixabay

 Copyright David Marc

Endlich vollendet

Künstliche Intelligenz ist aber nicht nur imstande, zu malen oder Worte in Bilder zu verwandeln. Auch die ­Musikindus­trie hat die KI längst für sich entdeckt. ­Einer, der beides kann, ist beispielsweise Ai-Da, der erste ultrarealistische Roboterkünstler der Welt. Eigentlich müsste man in der weiblichen Form sprechen, Ai-Da ist nämlich eine Roboterfrau, quasi eine Androidin, die mit ihren Werken bereits eine eigene Ausstellung hatte. In Summe sollen ihre Zeichnungen und Bilder bereits mehr als eine Million Pfund eingebracht haben.

Ai-Da ­wurde von der Universität Oxford entwickelt und kann mithilfe der KI nicht nur Zeichnungen und Gemälde anfertigen, sie kann auch musikalische Projekte umsetzen. Nicht aus der Feder von ­Ai-Da, dafür aber von den Technikern des Handyherstellers Huawei stammt eines der bekanntesten Musikstücke aus der Geschichte der KI-Komponisten. Es war das Jahr 2021, als eine KI von Huawei Beethovens 10. Sinfonie, die ​Unvollendete“, vollende­te. Anlass war der 250. Geburtstag von Ludwig van Beethoven. Zwei Sätze wurden auf einem Handy des Herstellers berechnet und dann dem Publikum präsentiert. Dafür wurden zahlreiche Skizzen, Sinfonien und Partituren in Maschinensprache aufbereitet und anschließend über Algorithmen analysiert und neu zusammengesetzt. Es gibt aber auch zahlreiche praxisnahe Beispiele für den Einsatz der KI in der Musikszene:

So macht Amper Music beispielsweise das Komponieren auf Knopfdruck möglich. Der Nutzer gibt an, welchen Stil er sich wünscht, welche Länge das Stück haben und in welcher Stimmung der Song sein soll – und die KI erledigt den Rest. Vor allem junge Künstler sollen davon profitieren. Ein erfolgreiches Beispiel ist die amerikanische Sängerin Taryn Southern: Sie erstellte ein Album mit Amper. Ein Song daraus, ​Daddy’s Car“, wurde bereits in der ersten Woche 400.000-mal heruntergeladen.

Kein Wunder, dass Künstler die Entwicklung nicht nur ­positiv betrachten.

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