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Überlegene Körper? Mut zur sich selbst...
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Überlegene Körper? Mut zur sich selbst...

Daniel Hornuff, Jörg Scheller Thu 08 2020

Überlegene Körper? Ein Gespräch über ästhetische Chirurgie und Bodybuilding

Welche Körper werden aufgewertet? Welche abgewertet? Jörg Scheller und Daniel Hornuff sprechen über angepasste und extreme Körperbilder, über neofeudale Ästhetiken und die Frage, wie Körpergestaltung und Kunstgeschichte miteinander verwoben sind.

  1. Oktober 2021 Lesezeit ca. 11 Minuten Artikel drucken In Pocket speichern

Jörg Scheller

Jörg Scheller ist Professor für Kunstgeschichte an der Zürcher Hochschule der Künste. Er schreibt regelmäßig Beiträge unter anderem für die Neue Zürcher Zeitung, DIE ZEIT, frieze magazine und ist Kolumnist der Stuttgarter Zeitung. Bereits als 14-Jähriger stand er mit einer Metalband auf der Bühne. Heute betreibt er einen Heavy Metal Lieferservice mit dem Metal-Duo Malmzeit. Nebenbei ist Scheller zertifizierter Fitnesstrainer. www.joergscheller.de

Daniel Hornuff

Daniel Hornuff ist Professor für Theorie und Praxis der Gestaltung an der Kunsthochschule/Universität Kassel. In seinen Forschungen beschäftigt er sich mit den kulturellen, politischen und ästhetischen Dimensionen von Gestaltung.

Der folgende Dialog zwischen Jörg Scheller und Daniel Hornuff entstand in einem Mail-Austausch und wurde im Nachgang von den beiden Diskutanten überarbeitet. Ziel dieses Gesprächs war es, zwei prägnante Dimensionen der Körperkultur miteinander zu vergleichen: Das Bodybuilding und die Ästhetisch-Plastische Chirurgie. Ausgangspunkt des Austauschs bilden jüngere Veröffentlichungen, die die beiden Autoren zu dem Thema vorgelegt haben.

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Jörg Scheller: Lieber Daniel, in unserer Forschung beschäftigen wir uns beide mit Körperkultur – Du primär unter Gesichtspunkten des Designs, ich unter kunstwissenschaftlichen und ästhetischen Gesichtspunkten. In Deinem Buch Krass! Beauty-OPs und Soziale Medien (2021) stellst Du die These auf, dass eine „schönheitschirurgische Feudalgesellschaft“ und ein „neuer aristokratischer Körperstolz“ entstehen könnten, wenn das für viele unerreichbare Statussymbol des chirurgisch optimierten Körpers zur Signalisierung ökonomischer Überlegenheit genutzt wird. Mich interessiert diese feudal-soziale Frage, da sie mit meinem Forschungsgebiet, dem Bodybuilding, verbunden ist. Ich habe den Eindruck, dass der Aufschwung der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie Symptom und Symbol einer allem Diversity-, Werte- und Moral-Dekor zum Trotz – oder vielleicht unter diesem Deckmantel umso leichter – fortschreitenden sozialen Feudalisierung ist, die sich nicht nur in der Macht der Superreichen artikuliert.

Daniel Hornuff: Da stimme ich Dir zu – in meinem Buch habe ich versucht, in diese Richtung zu argumentieren. Körperdesign bedeutet im Fall der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie: Beauftrage andere mit der Umgestaltung Deines Erscheinungsbildes. Das muss man sich leisten können. Mich interessiert, wie dieses Design ausgeführt wird. In vielen Fällen soll von ihm nämlich nichts zu sehen sein. Man lässt andere gestaltend in den eigenen Körper eingreifen – verbunden mit dem Wunsch, dass der Eingriff als solcher kaschiert wird. Gefolgt wird einem ästhetischen Ideal, das auf das Naturschöne zielt. Dieses wird zwar künstlich produziert, Merkmale und Spuren des Künstlichen gilt es aber zu verdecken. Je weniger sie sich dem Blick aufdrängen, desto größer muss der finanzielle Einsatz gewesen, desto qualitätsvoller muss die Arbeit ausgeführt worden sein. Ein schlecht gemachtes Lifting gilt dann umso mehr als Ausweis einer billigen Dienstleistung.

JSch: Bodybuilding hingegen – ich formuliere etwas holzschnittartig – ist Symptom und Symbol der Massendemokratisierung im 20. Jahrhundert. Der ursprüngliche Muscle Beach in Santa Monica etwa war ein Projekt der Progressiven Ära – die Works Progress Administration stellte allen, auch einkommensschwachen Menschen, Ort und Equipment für die körperliche Selbstoptimierung kostenlos zur Verfügung. Überhaupt setzen Bodybuilding und Fitnesstraining nichts weiter voraus als den eigenen Körper und ein paar Hanteln, die auch durch Steine, Holz, Wasserkübel ersetzt werden können. So habe ich etwa in Abchasien 2019 einen Hantelbauworkshop für Kinder in einem Bergdorf organisiert. Ästhetisch-Plastische Chirurgie als Arbeit am Selbstbild hingegen lässt sich nicht vom Selbstbildner selbst ausführen. Es sind teure Dienstleistungen erforderlich. Der soziale Druck, der durch Ästhetisch-Plastische Chirurgie aufgebaut wird, ist ein anderer: Arbeite nicht (nur) mit Dir an Dir, sondern erarbeite Dir Kapital, um andere für Dich an Dir arbeiten zu lassen! Oder täusche ich mich?

„Körper und Identität weniger als hart miteinander verkoppelte Größen einzustufen, sondern sie als wandelbare, voneinander entkoppelte Entwürfe zu sehen, trägt dazu bei, naturalisierende Reduktionismen abzuschwächen.“

DH: Nein, ich denke nicht. Wollte man es pessimistisch sehen, ließe sich eine doppelte Gefahr der schönheitschirurgischen Feudalgesellschaft identifizieren: Es kommt nicht nur zu einer Klassenbildung zwischen Operierten und Nicht-Operierten, sondern auch zu einem abfälligen Blick auf jene Menschen, die zwar nach dem Naturschönen strebten, deren Körper die Zeichen ästhetischer Eingriffe aber nicht leugnen können. Sie werden als Schönheitsblender:innen, als ästhetische Möchtegerne abgewertet. Ich frage mich, ob darin ein struktureller Unterschied zu Bodybuilding-Körpern liegt. Du hast gezeigt, dass es im Bodybuilding um eine Ästhetik des Außeralltäglichen, um Formen des Monströsen, des Nicht-Mehr-Natürlichen geht: Nicht das Gefallen, das Auffallen sei erklärtes Ziel, was eine funktionale Nähe zur modernen Kunst begründe. Zugleich hat sich im Feld der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie eine Szene, die sogenannte Bodymodification-Szene, gebildet, die das körperlich Groteske, das übersteigerte Künstliche, das Kunstschöne feiert. Haben wir es also in beiden Fällen mit zwei ähnlichen körperästhetischen Kategorien zu tun – mit naturschönen, neoliberal angepassten Fitness- und extremen Ausstellungskörpern?

JSch: Ja, diese Ausdifferenzierungsthese trifft es. Im Grunde beobachten wir in der Körperkultur das bekannte moderne Wechselspiel, wie es Georg Simmel in der Philosophie des Geldes (1900) beschrieben hat: Auf Homogenisierung wird unter Vorzeichen des Fortschritts dialektisch mit der Pluralisierung von Lebensstilen reagiert, bis hin zur Avantgarde. Dass das Naturschöne in Fitness und Ästhetisch-Plastischer Chirurgie ganz selbstverständlich hergestellt statt nur vorgestellt oder vorgefunden wird, fügt sich ins philosophisch-soziologische Panorama des 19. Jahrhunderts: Für Hegel stand das Absolute nicht am Anfang, sondern am Ende der Geschichte. Ein Buch des Bodybuilding-Mitbegründers Eugen Sandow trägt den Untertitel Man in the Making (1904). Es ist bezeichnend, dass die Soziologin Anja Röcke in ihrer Soziologie der Selbstoptimierung (2021) unter Verweis auf Ulrich Bröckling diesen Ausdruck zur Charakterisierung des idealtypischen – nicht des empirischen! – westlich-modernen Subjekts wählt: „Ein Subjekt besteht immer ‚nur im Gerundivum‘, also in the making.“

DH: Das bringt mich auf einen Aspekt der Geschichte der Ästhetisch-Plastischen Chirurgie. Die populäre Ästhetisch-Plastische Chirurgie, wie wir sie heute kennen, hat starke Wurzeln in der rekonstruktiven Chirurgie. Im Nachgang des Ersten Weltkrieges stand die Wiederherstellung zerstörter Körperpartien im Zentrum. Wiederherstellung bedeutete das Wiedererlangen basaler körperlicher Funktionen, die durch Gewalt verloren gegangen waren. Diese Körper wurden als eine Art Zwischenkörper gesehen – zwar lebten sie noch, aber ihre unterstellte Unvollständigkeit markierte sie als Körper der Transformation, die sowohl weiter verfallen als auch wieder – zumindest zu gewissen Teilen – vervollständigt werden konnten. Zugleich waren damit weitreichende ästhetische und soziale Fragen aufgeworfen. Wie sollten die teil-rekonstruierten Körper aussehen? Sollte das Wiederhergestellte als solches sichtbar bleiben, sogar als Kriegs- und Heldenzeichen hervorgekehrt werden? Oder wollte man kaschieren, um durch das Ver- und Überdecken vermeintlicher Makel eine soziale Re-Integration zu begünstigen?

JSch: An diesem Punkt, den Formen des „Machens“, unterscheiden sich Ästhetisch-Plastische Chirurgie und Bodybuilding signifikant. Der alte Feudaladel distinguierte sich, indem er körperliche Arbeit abwertete und ablehnte. Er ließ arbeiten. Entsprechend wurde das Geistige valorisiert. Dieses Prinzip scheint mir intakt: Man lässt arbeiten, liefert allenfalls die Handlungsanweisung, wie ein Konzeptkünstler. Vielleicht lösen sich hier, wie in der Psychologie der Gegenwart, die Grenzen zwischen Therapie und Optimierung auf. Was früher Mittel der Therapie war, etwa bei Kriegsgeschädigten, wird zur ästhetischen Optimierungsmaßnahme im Dienste sozialer Distinktion…

DH: …für die man auf das Prinzip des körpermodellierenden Outsourcings setzt: Man begibt sich in eine Art Fabrik, die die Arbeit übernimmt.

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